Aktuelles
Rede zum Aktionstag gegen Rechts am 25.02.2024
Liebe Anwesende,
es freut mich sehr, heute, hier, mitten in Burgau als 2. Bürgermeisterin der Stadt so viele Menschen zu sehen, die sich versammelt haben, um in Burgau ein Zeichen zu setzen für Demokratische Strukturen, für ein Miteinander, für Meinungsvielfalt: Bürgerinnen und Bürger, Stadträtinnen und Stadträte, Alt und Jung stehen heute hier, Seite an Seite. Das ist ein sehr schönes Bild und widerspricht dem, was die Alternative, die gerade ein paar Häuser von uns entfernt ist, gerne hätte: gesellschaftliche Spaltung und die Wahrnehmung durch die Bevölkerung, dass die Politikerinnen und Politiker weit weg von ihnen wären. Eben „Die da oben“, die den unten nur Böses wollen.
Viele Demonstrationen in den letzten Wochen, meine Damen und Herren, liefen unter dem Slogan „Wenn nicht jetzt, wann dann!“ und wollten damit zum Ausdruck bringen, dass das Fass an Hass und Ausgrenzung, an menschenfeindlichen Fantasien nun endgültig voll ist und dass dazu nicht mehr geschwiegen werden darf. Und gerade wir in Burgau wissen, zu was Kräfte in der Lage sind, wenn diese den Weg der demokratischen Auseinandersetzung verlassen, Ängste schüren, Feindbilder aufbauen und versuchen, die Gesellschaft zu polarisieren und zu spalten. Wir hatten mit dem KZ-Außenlager von Dachau in Burgau, mitten in unserer Stadt, für jeden sichtbar das Unrecht 1945 vor der Tür. Das wollen wir „nie wieder“ erleben.
Vor über 90 Jahren, liebe Anwesende, standen unsere Vorfahren leider zu spät auf. Sie erkannten zu spät, welche Gefahr von den damaligen rechten Kräften ausging, die sich auch als Alternative präsentiert haben, welche die alten Parteien vorgeführt, als streitsüchtig und nicht regierungsfähig hingestellt haben. Die immer gegen Alles waren nur mit dem Ziel, selbst an die Macht zu kommen, um dann ihr wahres Gesicht zu zeigen. Zu spät erkannten unsere Vorfahrern, dass man solche Geister nicht in den Griff bekommt, dass diese, wenn sie in den Parlamenten und Entscheidungsgremien sitzen, sich eben nicht selbst bloßstellen. Man erkannte zu spät, dass man mit solchen Kräften auch in demokratische Strukturen nicht konstruktiv arbeiten kann. Dieser Glaube war der größte Fehler und ein großer, großer Irrtum! Denn: Man kann auch den Weg der Demokratie nutzen, um autokratische Strukturen aufzubauen.
Deshalb stehen wir heute hier und sagen: „Nie wieder!“. Wir wollen weiterhin in einer Demokratie leben, unsere Meinung frei sagen und unser Burgau gestalten. Uns geht es hier gut. Wir haben tolle Firmen mit gewachsenen Strukturen, viele Vereine und - wenn es darauf ankommt - dann halten wir zusammen und stellen etwas gemeinsam auf die Beine. Falls nötig, werden wir auch Krisen meistern. Wir brauchen hier keine „Alternative für Burgau“.
Sicherlich sind wir über das „Wie wir hier zusammenleben wollen“ nicht immer einer Meinung. Wir haben in Burgau über 10.000 Bürgerinnen und Bürger und daher auch über 10.000 Meinungen. Leider ist nicht alles machbar, nicht jeder Bürgerwusch ist finanziell umsetzbar, was manches Mal zu Frust führt. Sicherlich mahlen Verwaltungsmühlen manchmal sehr, sehr langsam. Aber: Ich freue mich, in einem Stadtrat zu sitzen, in dem man diskutiert, in dem man sich ausreden lässt, in dem man nach einer Mehrheitslösung über alle Parteigrenzen hinweg sucht, in dem man sich auch für das Wohl der Stadt solidarisiert. Und: Wo man sich Entscheidungen nicht leicht macht, kein Schwarz-Weiß-Denken an den Tag legt, sondern nach guten Wegen für die Stadt sucht, was Zeit braucht und nicht immer sofort zu sichtbaren Ergebnissen führt. Wir tun alles, damit wir alle hier in unserer Stadt friedlich und im Wohlstand miteinander leben können.
Die rechten Spalter wollen ausgrenzen, liebe Demokratinnen und Demokraten. Sie behaupten, gegen die da oben zu sein. In Wahrheit richten sie sich gegen die Schwachen. Aber wir lassen das nicht zu. Noch sind wir die Mehrheit, wir, die für ein Burgau der Vielfalt eintreten, für Solidarität und ein Miteinander. Lasst uns zusammenstehen und lasst uns dies nicht nur heute zeigen, sondern auch in Zukunft! Vielen Dank!
REDE VOLKSTRAUERTAG 2022 (Limbach)
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!
Ich möchte meine diesjährige Rede zum Volkstrauertag mit folgenden Worten einer Autorin beginnen.
Ein Gedicht über den krieg schreiben, wenn man nur frieden kennt @janinabod
ich kenne keinen Krieg
ich kenne nur
geschichtsbuchkapitel
mit schaubildern und einem spannenden titel,
mit fakten und daten und zahlen und quoten:
Erster Weltkrieg, 1914–18, mit 17 Millionen und
zweiter Weltkrieg, 1939–45, mit 80 Millionen
Toten
ich kenne keinen Krieg
ich kenne nur
literaturmeisterwerke
wohlklingende Worte von schönheit und stärke
von brecht und remarque, die sie uns hinterließen:
Wir waren 18 Jahre und begannen
die Welt und das Dasein zu lieben;
wir mußten darauf schießen.
ich kenne keinen Krieg
ich kenne nur
abendessenanekdoten
am tisch ist schwerwiegendes schweigen geboten
wenn opa uns wieder von damals erzählt:
Wir hatten Hunger und hatten kein Geld.
Wir stahlen gefrorene Kartoffeln vom Feld.
ich kenne keinen Krieg
ich kenne nur
nachrichtenbilder
explosionen in städten und weinende kinder,
daneben der sprecher, der sachlich erklärt:
Am 6. Tag der Invasion in der Ukraine haben
die russischen Truppen ihre Angriffe verstärkt.
ich kenne keinen Krieg
ich kenne nur
frieden
ich musste nie fliehen, bin immer geblieben.
ich hatte nie hunger, bin immer schon satt.
ich musste nie schießen, weil man‘s mir befohlen
hat.
ich kann seine schrecken nur benennen,
doch andere müssen den krieg durchleben.
ich wünschte, ich wär‘ nicht so machtlos dagegen.
ich wünschte, ein jeder würd‘ ihn wie ich
nur noch vom
hörensagen kennen,
Liebe Anwesende!
Wir kennen hier keinen Krieg mehr, wir gehören einer Generation an, die nicht weiß, was Krieg tatsächlich bedeutet. Wie es sich anfühlt, in einem Bunker ausharren zu müssen, wie sich Angst anfühlt, wie es ist, wenn man nicht weiß, was einem blüht, wenn man gefangen genommen wird. Wenn man nicht weiß, was mit seinen Kindern, seinen Eltern, dem geliebten Menschen passiert.
1922, das heißt vor 100 Jahren gab es die erste Gedenkstunde im Reichstag, bei welcher der Kriegstoten aus dem Ersten Weltkrieg gedacht wurde. Das gemeinsame Trauern war durch den Solidaritätsgedanken mit denjenigen motiviert, die ihre Ehemänner, Väter und Brüder im Krieg verloren hatten. 1922 stand in der ersten offiziellen Rede zum Volkstrauertag die Versöhnung im Mittelpunkt.
Heute, mit zunehmendem Abstand, ist es mittlerweile vor allem ein Tag der Trauer und darüber hinaus ein Tag für den Frieden geworden. Neben der zentralen Gedenkstunde in Berlin begehen wir heute deutschlandweit in vielen kommunalen Gedenkfeiern den Volkstrauertag – und so freue ich mich, dass Sie sich hier auf dem Friedhof in Limbach eingefunden haben, um mit mir gemeinsam zu gedenken. Denn Gedenken heißt, unseren Blick und unsere Sinne für die Gegenwart zu schärfen und bietet einen Anstoß, sich der Vergangenheit zu stellen und sie lebendig zu halten.
Gerade in dieser schwierigen Zeit, in der das Miteinander immer mehr in den Hintergrund gerät, selbst unter Geflüchteten Neiddebatten entstehen, Einzelinteressen im Vordergrund stehen und nur noch wenige bereit sind, sich für die Allgemeinheit zu engagieren oder Empathie zu empfinden, in der wieder begonnen wird, geschichtliche Tatsachen zu verdrehen oder Kriegsgeschehnisse zu verharmlosen, ist Ihr Erscheinen hier ein wichtiges Zeichen für Solidarität, denn wir wissen, was damals in unserem Land passiert ist und was das Ergebnis war: Viele unschuldige Limbacher, deren Namen hier auf dem Kriegerdenkmal zu lesen sind, mussten ihr Leben lassen, und verdienen es, dass an sie und ihre Familien gedacht wird.
Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs, meine sehr verehrten Damen und Herren, liegen nun 77 Jahre zurück. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir damit seit mehreren Jahrzehnten kein direktes Kriegsgeschehen in unserem Land erleben mussten. Bereits mehrere Generationen ist es nun her, die durch Krieg verursachte Gräuel und Leid erfahren mussten. Aber die Welt war in den letzten Jahrzehnten und ist auch heute nicht frei von Krieg. Es vergeht kein Tag, an dem nicht in irgendeinem Land oder Kontinent geschossen und getötet wird.
Auch wenn wir hier in Deutschland eine lange Zeit verzeichnen können, in der keine Bombe auf deutsche Städte gefallen ist, so leben wir doch in keiner friedvollen Zeit und der Krieg ist auch wieder in Europa angekommen. Er ist direkt vor der Haustür: Den Ukraine-Krieg erleben wir hautnah mit und von seinen Auswirkungen sind wir unmittelbar betroffen.
Auch der seit 2011 andauernde Bürgerkrieg in Syrien betrifft uns. Denn seitdem strömen zahlreiche syrische Flüchtlinge in unser Land. Unschuldige Menschen, die aufgrund der sich bekämpfenden Gruppen ihr Zuhause und ihre Lebensgrundlage verlieren. Das gleiche gilt für afrikanischen Staaten und für Menschen, die ihre Heimat Afghanistan verlassen.
Nein, wir leben weiß Gott nicht in einer friedvollen Welt. Wir sehen, dass Menschen nach wie vor sterben müssen durch die Hand Dritter, Frauen vergewaltigt werden, Kinder für ihr ganzes Leben psychisch gezeichnet sind. Zudem sind es immer Angehörige der jeweiligen Militärs, Soldatinnen und Soldaten, die ihr Leben für staatliche Ziele lassen. Hinzu kommen die Menschen, die sich für den Rechtsstaat, Demokratie und Freiheit einsetzen und dafür sterben.
Umso wichtiger ist es, uns heute an diesem Gedenktag bewusst zu machen, dass wir in einem Land leben, in dem wir sagen können, was wir wollen und in dem die Politikerinnen und Politiker das Wohl jedes Einzelnen im Blick haben, auch wenn immer wieder versucht wird, uns Gegenteiliges einzutrichtern.
Unsere Vergangenheit hat uns gelehrt, liebe Anwesende, wie schnell es geht, die Demokratie für obsolet zu erklären und am Ende ganz abzuschaffen. Das dürfen wir nicht zulassen, dagegen müssen wir uns mit allen Mitteln wehren, denn wir sollten wissen, wohin das führt: in Krieg und Unfreiheit. Und daher gedenken wir heute auch den Errungenschaften der Demokratie, für die wir uns einsetzen müssen. Das sind wir den Opfern, deren Namen hier stehen, schuldig, aber auch uns selbst und unseren Nachkommen, die im wachen Wissen um die Geschichte aufwachsen mögen.
So lasst uns heute denken
an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.
Wir gedenken
der Soldaten, die in den Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben verloren.
Wir gedenken derer,
die verfolgt und getötet wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Gruppe zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren
Leben als lebensunwert bezeichnet wurde.
Wir gedenken derer,
die ums Leben kamen, weil sie Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.
Wir trauern
um die Opfer von heutigen Kriegen, von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.
Lassen Sie uns all diesen Menschen ein ehrendes Andenken bewahren.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
REDE VOLKSTRAUERTAG 2021 (Burgau)
Sehr geehrter Pfarrer Stegmüller,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Vereine,
liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
es ist eine über hundertjährige Tradition, dass wir im November gemeinsam den Volkstrauertag begehen, und es ist auch eine wichtige und notwendige Tradition.
Heute, am Volkstrauertag, erinnern wir an Kinder, Frauen und Männer aus unserem Land und vielen anderen Ländern weltweit, die ihr Leben lassen mussten, weil Krieg und Gewalt herrschten. Wir gedenken der unzähligen Soldaten, die an den Fronten fielen; wir gedenken der Zivilisten, die in der Heimat oder auf der Flucht umkamen. Wir gedenken der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
Thematisch steht der Volkstrauertag 2021 schwerpunktmäßig im Zeichen des besonders grausamen und verlustreichen Angriffs- und Vernichtungskrieges in Ost- und Südosteuropa, der vor 80 Jahren mit der Besetzung von Jugoslawien und Griechenland sowie dem Überfall auf die Sowjetunion begann.
Der rücksichtslosen Kriegsführung in Ost- und Südosteuropa in den Jahren ab 1941 folgte ein hartes, deutsches Besatzungsregime mit dem massenhaften Tod von sowjetischen Kriegsgefangenen, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern sowie den Opfern der „Aushungerungsstrategie“. Widerstand wurde von den Deutschen erbarmungslos unterdrückt.
Mit der Wende im deutsch-sowjetischen Krieg schlug diese erbarmungslose Kriegsführung gegen die deutschen Soldaten, aber auch gegen die deutschsprachigen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa zurück. In die Millionen gehen die Zahlen von Soldaten, die unter den verheerenden Umständen bei den Kämpfen oder in der anschließenden Kriegsgefangenschaft starben, und von den Zivilisten, die flüchten mussten oder vertrieben wurden.
Was haben die Kriegsereignisse in Mittel- und Osteuropa nun mit Burgau zu tun? Auf den ersten Blick, denkt man, nicht viel. Beim zweiten Blick merkt man, dass es sehr viele Berührungspunkte mit Burgau gibt. Auch wir hatten in Burgau osteuropäische Kriegsgefangene bzw. Zwangsarbeiter, die bei Burgauern Zwangsarbeit verrichten mussten, bei Burgauer Bauern z. B. oder für Messerschmitt im Kuno-Werk. Sie waren in Burgau einquartiert.
Auch kämpften einige Burgauer Soldaten im Osten, unter anderem in Stalingrad, ließen in den Gefechten ihr Leben oder gerieten in Kriegsgefangenschaft und kamen nach vielen Jahren erst wieder in ihre Heimat zurück.
Und wenn wir hier auf dem Friedhof sind, dann fällt ein Grab auf. Es ist das Grab eines jungen, aus der Sowjetunion stammenden Mannes. Sein Porträt zeigt ihn in Zivilkleidung und nicht in Uniform, die Inschrift ist in kyrillischer Schrift.
Wenn man die Inschrift übersetzt, dann weiß man, dass der junge Soldat Laptjew hieß, 1926 geboren war und im Juni 1946 in Burgau starb, das heißt mit 20 Jahren.
Der Text der Inschrift lautet übersetzt:
Als du lebend warst – warst du der lebende Vorwurf
Für alle Vergessenen an deine Heimat.
Nun schweigend, mit blauem Blick
Schaust du ins Gesicht den Engeln im Paradies.
Deine Freunde.
Wer war der junge, russische Mann, der hier in Burgau begraben ist, und was beuten diese Worte seiner Freunde.
Er war Leutnant bei der russischen Befreiungsarmee, welche nach ihrem ersten Kommandeur auch Wasslow-Armee genannt wurde. Das war ein Verband, der auf der deutschen Seite im Zweiten Weltkrieg gegen die Sowjetunion kämpfte, gegen Stalin, um ihr Land, im Falle des jungen Soldaten, die Ukraine, vom Bolschewismus zu befreien. Nach dem 2. Weltkrieg war hier in Burgau von den Amerikanern in den ehemaligen KZ-Baracken an der Augsburger Straße vom 10. Mai 1946 bis 8. Juli 1946 ein Kriegsgefangenenlager eingerichtet worden. Dort starb der junge Mann. Er wurde von den Amerikanern erschossen, warum, ist nicht mehr ganz zu erschließen. Nur ein liebevoll gepflegtes Grab erinnert noch an ihn.
Sein Tod ist umso schmerzhafter, weil er hätte nicht mehr sterben müssen. Der Krieg war schon ein Jahr vorbei. Er ist in einem fremden Land begraben worden und seine Angehörigen hatten keine Gelegenheit, von ihm Abschied zu nehmen. Ein Schicksal, das viele traf. Wie schwer muss es für eine Mutter, einen Vater, Großeltern, eine Schwester, eine Frau oder Verlobte sein, wenn man nicht weiß, was aus dem geliebten Menschen wurde, wie es ihm in seinen letzten Stunden erging.
Ein solches Schicksal beschreibt Reinhold Beckmann, ein deutscher Fußballkommentator, der am Sonntag im Deutschen Bundestages ein Lied vorträgt, in dem es darum geht, dass seine Mutter den scherzhaften Verlust von 4 im Krieg gefallenen Brüdern ertragen musste. Er sagt darin:
Hinter deinen Augen warten Tränen,
Jeden Tag und jedes Jahr.
Das Bild ist geblieben,
Genauso wie es war.
Sie haben ihr Bündel mitgenommen,
Ein letztes Lachen im Gesicht,
Nur für dich, kleine Schwester.
Zurückgekommen sind sie nicht.
Sie alle waren deine Brüder,
Jeder ein Teil von dir.
Du sahst siе nie mehr wiedеr,
Sind jenseits von hier. (…)
Du hast den Atem angehalten,
Als der erste Brief im Kasten lag.
Du hast den Atem angehalten,
Als die nächste Nachricht kam.
Du hast den Atem angehalten,
Als das dritte Leben war vorbei.
Du hast den Atmen angehalten,
Beim vierten stummen Schrei.
Sie alle waren deine Brüder,
Jeder ein Teil von dir.
Du sahst sie nie mehr wieder;
Sind jenseits von hier.
Längst vorbei, ein Leben her;
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Hoffen wir für alle, dass wir so etwas nicht erleben müssen. Dass wir und unsere Kinder nie einen Krieg erleben müssen.
Versuchen wir, jeder einzelne von uns, die Botschaft, die uns dieser Tag mit auf den Weg gibt, und sich in der Devise des Volksbundes widerspiegelt, zu leben:
Gemeinsam für den Frieden
Nie wieder Krieg!
Rede zum Volkstrauertag am 15.11.2020 in der Kirche St. Martin in Unterknöringen
Sehr geehrter Pfarrer Stegmüller,
sehr geehrte Vertreter der Vereine,
liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
75 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg glauben und hoffen wir, alles im Griff zu haben. 75 Jahre schweigen bei uns die militärischen Waffen.
Die derzeit etwa 150 gewaltsamen Krisen und Kriege finden relativ weit weg statt: in Afrika, in Asien, in Syrien und vielen Ländern des Nahen Ostens und Teilen Lateinamerikas. Sie berühren uns kaum. Wer weiß denn heute noch, was Krieg bedeutet, wie Krieg sich anfühlt?
Vor 75 Jahren, am 8. Mai 1945, endete bei uns in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht der Zweite Weltkrieg.
Er dauerte sechs Jahre und zwei Tage. In jeder Stunde verloren durchschnittlich 1.139 Menschen ihr Leben. Das heißt: Es starben 19 Menschen pro Minute.
Was Krieg bedeutet, musste man vor 75 Jahren auch in unserer Gegend schmerzvoll erfahren. Das Kriegsende hier, in Oberknöringen und Unterknöringen liest sich im Protokollbuch der Gemeinde Oberknöringen, verfasst vom damaligen Bürgermeister, so:
Am 27. und 28. April 1945 war Unter- und Oberknöringen Kampfgebiet. In den frühen Morgenstunden wurde die Ortschaft durch SS-Verbände, welche im Wald südlich von Oberknöringen Stellung bezogen hatten, beschossen, da US-Streitverbände in Oberknöringen Aufstellung genommen hatten.
Die Einwohner flüchteten in die Keller bzw. in den Bierkeller der Brauerei Gleich. Darunter waren auch Soldaten. Die Verwundeten wurden nach Günzburg abtransportiert. Ein Aufklärer flog den ganzen Tag über Ober- und Unterknöringen. Im Stadel des Josef Merk gab es zwei Tote namens Forstner, Unteroffizier und Bender, Feldwebel, beheimatet in Augsburg und Hamburg. Sie wurden durch schwere Granaten, welche auch den Stadel zum Teil zerstörten, getötet. Ein weiterer Soldat, namens Bernuski, lag am grünen Weg. Die toten Soldaten wurden im Unterknöringer Friedhof beigesetzt und 1950 auf den Sammelsoldatenfriedhof Nümsingen bei Ulm durch die Kriegsgräberfürsorge umgebettet.
Die Einwohner von Unterknöringen flüchteten nach Oberknöringen, weil es in Unterknöringen durch farbige Truppen zu Ausschreitungen kam. Die Häuser waren ziemlich beschädigt. Das Haus des Johann Stanger wurde vollständig zerstört.
So lautet der Eintrag und wir können heute nur noch erahnen, was unsere Vorfahren in diesen Stunden erlebt und durchgemacht haben. Welche Todesängste die Ober- und Unterknöringer Bevölkerung gehabt haben müssen, als sie den Krieg hier hautnah miterlebten.
Die ungeheuerlichen Ausmaße und Folgen dieses Krieges sind einzigartig in der Geschichte: Über 60 Millionen Menschen starben in diesem Krieg insgesamt, mehr als die Hälfte von ihnen waren Zivilisten. Sie verloren ihr Leben durch kriegerische Handlungen, Völkermord in Konzentrationslagern, Kriegsverbrechen, Zwangsarbeit, Bombardierung, Flucht, Vertreibung und Verschleppung.
Etwa 6,3 Millionen Deutsche starben. Keine Familie blieb von den Auswirkungen des Krieges verschont, wie man auch hier hinten an der Erinnerungstafel in der Kirche für die gefallenen Soldaten sieht.
Doch Krieg ist nicht an einem Tag vorbei: Der 8. Mai brachte für viele Deutsche den Beginn einer ungewissen und leidvollen Zukunft – zum Beispiel den Weg in die Kriegsgefangenschaft, die viele Jahre unter menschenverachtenden Bedingungen andauern konnte und für Hunderttausende den Tod bedeutete oder aber die Flucht und Vertreibung aus der Heimat. Viele Frauen und Kinder wussten Jahre nach dem Krieg nicht, wo der Ehemann bzw. Vater ist, ob er noch lebt oder tot ist. Wo ist der Bruder, der Sohn?
Das Gedenkjahr 2020 ruft die schrecklichen Folgen von Krieg und Gewaltherrschaft, aber auch die Leistungen der Verständigung und Annäherung ins Bewusstsein: Vor 70 Jahren legte der französische Außenminister Robert Schuman mit einer Erklärung den ersten Grundstein für unsere heutige europäische Integration. Vor 50 Jahren wurden mit den Verträgen von Moskau und Warschau die Aussöhnung mit unseren östlichen Nachbarn vorangebracht, vor 30 Jahren wurde Deutschland wiedervereinigt.
Wir wissen, dass Krieg und Gewaltherrschaft sich über mehrere Generationen als Trauma fortsetzen können. Nach der Kriegsgeneration, die die Schrecken erlebt hat und darüber oft verstummt ist, haben deren Kinder den Schmerz der Eltern gespürt, oftmals ohne, dass darüber gesprochen wurde. Die Enkelgeneration wiederum stellt Fragen und forscht nach. Die nunmehr vierte Generation tut sich mitunter schwer, die Relevanz der 75 Jahre und länger zurückliegenden Ereignisse für ihr eigenes Leben zu erkennen. Daher sind solche Gedenktage wichtig.
Denn die Menschen in weiten Teilen Europas, vor allem auch in Deutschland, haben sich an ein Leben in Freiheit, Demokratie und Frieden gewöhnt. Die kollektive Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und das Bewusstsein für die zerstörerische Natur von übersteigertem Nationalismus verflüchtigt sich. Demokratie und die damit verbundene Freiheit ist selbstverständlich geworden. Sie ist nichts mehr, was man achten und schätzen muss.
Aber der Verlust der Erinnerung ist nicht gut, denn man sollte nicht erst einen ungeheuerlichen Krieg überlebt oder die Willkür einer Diktatur erlebt haben müssen, um die Friedenskraft und die Rechtsstaatlichkeit, die Meinungsfreiheit wertzuschätzen.
Daher ist es heute so wichtig zu erkennen, dass Kriege keine Naturkatastrophen sind, die einfach so ausbrechen. Sie werden gemacht. Durch Feindbilder, autoritäre Denkmuster und Propaganda werden sie vorbereitet.
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger! Frieden ist keine Selbstverständlichkeit. Wir müssen diese Einsicht weitergeben an jene, auf die es morgen ankommt. Auch deshalb sind wir hier – heute am Volkstrauertag. Die Botschaft, die uns dieser Tag mit auf den Weg gibt, ist eindeutig und spiegelt sich in der Devise des Volksbundes wider:
Gemeinsam für den Frieden
Nie wieder Krieg!
Hoffen wir, dass wir nie das erleben müssen, was unsere Vorfahren durchmachen mussten.